Humboldt-Universität zu Berlin - Europäisches Promotionskolleg "Einheit und Differenz im Europäischen Rechtsraum"

Forschung

© Michael Kuchinke-Hofer

Forschungsziele

Das Promotionskolleg hat sich als Aufgabe gesetzt, Bedingungen, Grenzen und Auswirkungen der Verflechtungen, die die Setzung und Durchsetzung des Rechts im europäischen Mehrebenensystem tiefgreifend verändern, zu erforschen. Geschärft wird dieses Forschungsprogramm durch die Leitbegriffe „Einheit und Differenz“, die sich auch auf die Vielfalt der Analysemodelle beziehen. Gemeinsame Grundlage des Forschungsprogramms ist daher zunächst eine interdisziplinär geöffnete Methodik, in der rechtswissenschaftliches Arbeiten in einer sozialwissenschaftlich informierten und inspirierten Form erfolgt. Zweiter verbindender methodischer Ansatz des Forschungsprogramms ist die Rechtsvergleichung, die als wirksames Instrument einer europäischen Rechtswissenschaft gleichzeitige Erfassung von Einheit und Differenzen im europäischen Rechtsraum ermöglicht. Neben der Rechtsvergleichung stellt die rechtsgeschichtliche Perspektive für das Wechselspiel von Einheit und Differenz einen zeitlichen Vergleichskontext dar und bietet ebenfalls die Möglichkeit, konvergente Entwicklungsverläufe und nationale Pfadabhängigkeiten in den Blick zu nehmen.

 

Forschungsschwerpunkte

Das Kolleg unterstützt Forschungsvorhaben im Privatrecht, im Strafrecht und im öffentlichen Recht.

Im Privatrecht bilden Einheit und Differenz die Pole einer fortlaufenden Debatte über das richtige Verhältnis der europäischen zur nationalen Rechtsetzung. Die Diskussion über das sinnvolle Maß der Harmonisierung wird freilich nicht mehr allein im Hinblick auf die Strategie der gesetzgeberischen Rechtsangleichung geführt. Sie gewinnt auch angesichts der Anwendung des europäischen Rechts und insbesondere hinsichtlich der Auswirkungen der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) an Bedeutung, die zunehmend in den Blick der Privatrechtswissenschaft rückt.

Von dem Phänomen der Europäisierung des Rechts ist in zunehmendem Maße auch das Strafrecht betroffen. Institutionen wie Europol, die Einführung des europäischen Haftbefehls oder die langjährigen Verhandlungen über die Gründung einer europäischen Staatsanwaltschaft zeigen, inwiefern sich diese grundlegende Konvergenz auf staatliche Strukturen stützt und verbleibende nationale Differenzen verträgt. Für Nachwuchswissenschaftler bietet sich hier ein zweites und vielversprechendes Forschungsfeld.

Aus der Perspektive des öffentlichen Rechts ist die Aufarbeitung der Interaktionen zwischen Einheit und Differenz im europäischen Rechtsraum ebenfalls gewinnbringend.

 

Während im europäischen Primärrecht das Recht der EU einen vereinheitlichenden Vorrang vor allen nationalen Rechtsordnungen verlangt und zugleich die Verfassungsidentität der einzelnen Mitgliedstaaten achten soll, müssen auf der Ebene des europäischen Sekundärrechts einheitliche Rechtssetzung und nationale Verwaltungsstrukturen bzw. Verwaltungskulturen ebenfalls permanent in Einklang gebracht werden.

Einheit und Differenz prägen aber auch das Verhältnis der Gerichte zueinander. Der EuGH, der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) und die nationalen Höchstgerichte teilen sich den Grundrechtsschutz in Europa auf, ohne in einer einheitsstiftenden Hierarchie geordnet zu sein. Wenn sich im öffentlichen Recht der Verbundgedanke als aufschlussreiches Paradigma für das Zusammenspiel zwischen Einheit und Differenz im Mehrebenensystem nun etabliert hat, erfordert freilich der Rückgriff auf diese Deutung eine kritische und systematische Durchdringung. Es setzt die wissenschaftliche Bearbeitung weiterer, sachgebietsspezifischer Ausschnitte voraus.