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Erfolglose und geplante Versprechungen in der Asylrechtspolitik – ein Interview mit Dr. Margit Ammer (Ludwig-Boltzmann-Institut für Menschenrechte in Wien)

 

Felix Braun

Im Rahmen des dritten Kongresses deutscher Rechtssoziologievereinigungen, der unter dem Motto „Versprechungen des Rechts“ vom 11.-13. September in Berlin stattfand, bot sich mir die Möglichkeit, ein Interview mit der Flüchtlingsrechtsexpertin Dr. Margit Ammer über erfolglose und geplante Versprechungen der europäischen Asylrechtspolitik zu führen. Frau Dr. Ammer arbeitet als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Ludwig-Boltzmann-Institut für Menschenrechte in Wien.

Der europäische Gerichtshof für Menschenrechte hielt vor kurzem fest, dass die Menschenwürde krisenfest ist und auch bei Überforderung der Behörden gewahrt werden muss. Inwieweit ist die Dublin-III-Verordnung dafür verantwortlich zu machen, dass dies momentan in vielen Ländern nicht gelingt?

Dublin III und auch die Vorgängerregelungen sind sicher allesamt mitverantwortlich für die Situation, weil es eigentlich von Anfang an klar war, dass die darin enthaltenen Regelungen letztendlich vor allem zu einer „Belastung“ der Staaten an den EU-Außengrenzen führen. Der zweite wichtige Punkt in diesem Kontext ist, dass die Annahmen des Dublin-Systems nicht gegeben waren. Die Annahmen waren, dass die Voraussetzungen in allen Mitgliedsstaaten hinsichtlich z.B. Aufnahmebedingungen oder Asylverfahren annähernd ähnlich sind. Eigenartig ist, dass das Dublin-System schon zu einem Zeitpunkt mit dieser Annahme operierte, als noch gar keine rechtliche Harmonisierung in diesen Bereichen stattgefunden hatte.

Welches Ziel stand damals hinter der Einführung?

Die Verhinderung von „asylum shopping“ und „refugees in orbit“. Man wollte verhindern, dass Schutzsuchende von einem Staat in den nächsten wandern, weil sie dort bessere Bedingungen erwarten. Notwendig geworden ist dies vor allem durch das Bestreben, interne Grenzen abzuschaffen und als Kompensation die EU- Außengrenzen stärken. Man sah eine gewisse Annäherung der Asylpolitiken der Staaten als notwendig an und so kam dann auch das Dubliner Übereinkommen (später Dublin-II- und Dublin-III-Verordnung) ins Spiel. Jede schutzsuchende Person sollte einen Staat haben, der für ihr Asylverfahren verantwortlich ist.

Als Alternative wird auf europapolitischer Ebene gerade heiß über die Einführung des europäischen Verteilungsschlüssels diskutiert. Anhand welcher Kriterien würde sich dieser bemessen müssen, damit den Flüchtlingen europaweit eine faire und humane Behandlung zuteilwird?

Das Dublin-System hat inzwischen einige „Lücken“, die insbesondere durch die Rechtsprechung von EGMR (insb. M.S.S., Tarakhel) und EuGH (N.S. und M.E.) entstanden sind bzw. „aufgedeckt“ wurden. Abgesehen davon ist es klar, dass es in der derzeitigen Situation, die durch hohe Zahlen an Schutzsuchenden gekennzeichnet ist, einer neuen Lösung bedarf. Das, was die EU jetzt vorhat

 

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(Umverteilung von insgesamt 160.000 Schutzsuchenden aus Griechenland und Italien) ist eine vorübergehende „Notfallmaßnahme“, wie sie im EU-Vertrag über die Arbeitsweise der Union vorgesehen ist. Darüber hinaus gibt es auch einen Kommissionsvorschlag, der vorsieht, in die Dublin-III-Verordnung einen „Umsiedlungsmechanismus für Krisensituationen” einzubauen. Ich denke, dass ein solcher Umverteilungsmechanismus basierend auf Quoten nur dann funktionieren kann, wenn er auch auf die Bedürfnisse von Schutzsuchenden Rücksicht nimmt. Ein Abstellen auf vorwiegend objektive Kriterien war bereits das Problem im Dublin- System. Man darf nicht außer Acht lassen, dass die Menschen, die um Schutz ansuchen, auch bestimmte Anliegen haben, und z.B. lieber bei Verwandten oder Leuten aus gleichen oder ähnlichen Kulturkreisen wohnen wollen oder in einem Land, in dem eine Sprache gesprochen wird, die sie verstehen bzw. sprechen wollen. So wird z.B. noch in der Dublin-Verordnung ein sehr enger Familienbegriff angewandt. Bei einer Umverteilung sollten auch soziale, kulturelle, sprachliche und über die Kernfamilie hinausgehende familiäre Anknüpfungspunkte berücksichtigt werden. Die vor kurzem beschlossene Umverteilung achtet – abgesehen von Kindeswohl und Kernfamilie – nicht auf diese Bedürfnisse. Problematisch ist außerdem, dass Schutzsuchende im Zuge der Umverteilung keinerlei Mitspracherecht haben.

Wie wahrscheinlich ist eine Einigung?

Schwer zu beurteilen. Die osteuropäischen Staaten finden diese Idee überhaupt nicht gut, weil sie dadurch im Unterschied zum Vorschlag der Europäischen Kommission vom Mai, in dem es um freiwillige Aufnahmequoten ging, zur Aufnahme von Flüchtlingen verpflichtet werden würden. Mit Ausnahme von Ungarn bedeutet die Quote für die osteuropäischen Staaten, dass sie einige Schutzsuchende mehr bekommen werden. Bezüglich Ungarn muss jedoch betont werden, dass viele Schutzsuchende weiterziehen.

Der slowakische Ministerpräsident äußerte Bedenken, dass durch den Verteilungsschlüssel Schlepperbanden in die Karten gespielt wird und deren Industrie weiter anwächst. Ist das eine begründete Furcht?

Mehr als jetzt kann den Schleppern doch kaum in die Karten gespielt werden. Legale und sichere Kanäle nach Europa wären das einzig effektive Mittel gegen diese Leute. Vor Kurzem hat das der UN-Sonderberichterstatter für die Menschenrechte von Migranten gut auf den Punkt gebracht: Die EU muss wieder Kontrolle über ihre externen Grenzen bekommen, und zwar nicht durch ein Mehr an Grenzzäunen, sondern dadurch, dass man legale Kanäle schafft und dadurch das Ganze, planbarer macht. Im Moment wirkt alles sehr ad hoc und ungeplant, und die Schlepper profitieren extrem davon. Flüchtlinge bekommen in der Regel kein Visum und müssen dann natürlich auf Schlepper zurückgreifen, sonst ist es für sie gar nicht möglich nach Europa zu kommen. Ein Beispiel für einen legalen und sicheren Weg nach Europa für Flüchtlinge ist Resettlement. Man muss sich vorstellen, es gibt über 4 Millionen Flüchtlinge aus Syrien, die sich alle in der Herkunftsregion aufhalten, nur wenige Hunderttausend, die in Europa um internationalen Schutz angesucht haben. Die Herkunftsregionen müssen jedenfalls entlastet werden.

 

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Im Gespräch ist auch die Errichtung von „Hotspots“ in Italien, in denen Asylanträge im Schnellverfahren bearbeitet werden sollen um die Flüchtlinge bei negativem Ergebnis möglichst schnell zurückführen zu können. Was halten Sie von dieser Idee?

Ammer: Es kommt sehr auf die genauere Ausgestaltung an. Schutzsuchende müssen jedenfalls identifiziert werden und effektiven Zugang zum Asylverfahren und angemessene Behandlung erhalten. Selbst im Falle von Schnellverfahren, z.B. im Zusammenhang mit dem Konzept des „sicheren Herkunftsstaats“, müssen bestimmte Mindeststandards eingehalten werden.

Auch der Asylprozess gestaltet sich in den europäischen Mitgliedsstaaten unterschiedlich. In Tschechien beträgt die durchschnittliche Bearbeitungszeit eines Asylantrags 7 Jahre und auch die Anerkennungsquoten liegen zwischen 9% (Ungarn) und knapp 90% in Bulgarien. Müssten nicht auch die nationalen Asylverfahrensgesetze angeglichen werden, um europaweit gleiche Rechte für Flüchtlinge zu sichern?

Ich finde, was bezüglich der Harmonisierung von Asylrecht auf EU-Ebene herausgekommen ist, ist eine Farce. Das Problem ist, dass den Mitgliedsstaaten in den Richtlinien, z.B. in der Asylverfahrensrichtlinie – auch nach der Überarbeitung – ein viel zu großer Spielraum gelassen wird bzw. wurden. Sonst wären die unterschiedlichen Anerkennungsquoten bei ähnlicher Fluchtgeschichte und gleichem Herkunftsland gar nicht möglich. Ich glaube, dass es am Ende sicher am vernünftigsten und gerechtesten wäre, ein wirklich ‚gemeinsames’ Asylverfahren zu haben, wie es im Vertrag über die Arbeitsweise der europäischen Union erwähnt wird, und zwar mit einer gemeinsamen Asylbehörde. Die Mitgliedstaaten wehren sich allerdings massiv dagegen und darum haben wir auch bis heute kein einheitliches europäisches Asylsystem, obwohl davon immer die Rede ist, von diesem „common european asylum system“. Bereits die zweite EU-Rechtsv- ereinheitlichungsphase, die zu einer weiteren Annäherung der Standards führen sollte, verlief sehr schwierig: Die ersten Kommissionsvorschläge, die auch eine Verbesserung der Situation von Schutzsuchenden herbeiführen sollten, wurden im Rat abgelehnt. Die Kommission musste dann neue Vorschläge vorlegen. Kurzum, es wurden viele Ressourcen reingesteckt, die Überarbeitung hat Jahre gedauert, der „Ertrag“, also die Verbesserung der Rechte für Schutzsuchende bzw. eine weitere Annäherung der Standards, war letztendlich klein. Darum sage ich, es wäre super, ein einheitliches Asylverfahren zu haben, mit einer Behörde, die das zentral macht, wie das in den EU-Regularien auch angestrebt wurde.