Wissenschaft, Inter- / Transdisziplinarität
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... das Forschungsfeld Wissenschaft, Inter- und Transdisziplinarität
Inter- und Transdisziplinarität sind häufig gebrauchte Schlagworte in Diskussionen um neue Anforderungen an Hochschulen. Tatsächlich entstehen immer mehr fächerübergreifende Institute und Zentren, die so arbeiten: inter- oder transdisziplinär. Es bedeutet in erster Linie, mit unterschiedlichen Disziplinen ins Gespräch zu kommen. Interdisziplinarität wird dabei als eine Art Kooperation oder auch Zusammenspiel zwischen verschiedenen Disziplinen verstanden, während Transdisziplinarität auch die übergreifende Kritik und Reflexion wissenschaftlichen Arbeitens betont. Die Gender Studies an der Humboldt- Universität sind dafür ein gutes Beispiel: Im Gespräch zwischen Forschenden und Lernenden unterschiedlicher Fachrichtungen entstehen nicht nur neue Erkenntnisse und weitere Fragen, sondern auch kritische Reflexionen auf eigene Fragestellungen, Methoden und Aussagen. Kurz ließe sich auch formulieren: Während interdisziplinäre Arbeit auf ein Mehr an Erkenntnis setzt, zielt transdisziplinäre Arbeit auf andere Erkenntnisse. Das bedeutet also, thematisch und methodisch über die Grenzen der eigenen Disziplin hinauszugehen, sich dabei aber stets der eigenen disziplinären Verortung bewusst zu sein. Das verlangt eine Haltung (selbst)kritischer Reflexion über die Potenziale und Grenzen der eigenen sowie anderer Disziplin(en); es berücksichtigt deren historische Entwicklung und kulturelle Einbettung. Disziplinen werden als Orte der Orientierung, Identifikation und Ressourcen geschätzt, aber dennoch als stetig im Wandel befindlich begriffen.
In der Rechtswissenschaft gibt es eine intensive Diskussion um den Wert und die Möglichkeiten inter- oder transdisziplinärer Arbeit. Übergreifend wird in der Rechtssoziologie, der Rechtspolitologie oder der Rechtsphilosophie und –theorie gearbeitet; transdisziplinäre Züge tragen Ansätze wie Comparative Constitutionalism und unterschiedliche kritische Rechtstheorien. Diese nehmen zudem Erkenntnisse auf, die in den transdisziplinären Gender Studies – auch in den „critical race studies“, in postkolonialen Studien, in der „queer theory“ oder in den „disability studies“ entwickelt werden.
Inter- und transdisziplinäre Arbeit zu Rechtsfragen ist oft zwingendes Erfordernis, um adäquat be/urteilen zu können. Dafür gibt es zahlreiche Beispiele: Für eine sinnvolle Auseinandersetzung über Antidiskriminierungsrecht werden Kenntnisse aus den Sozialwissenschaften, der Geschichtswissenschaft und den Religionswissenschaften ebenso benötigt wie juristische Kenntnisse. Umgekehrt muss für eine feministische Analyse zum Verhältnis von öffentlicher und privater Sphäre am Beispiel der Gewalt gegen Frauen juristisch geklärt werden, inwiefern das Private „ungeregelt“ und das Öffentliche „geregelt“ ist, um zu erkennen, dass unterschiedliche rechtliche Strukturen unterschiedliche Ideologien transportieren. Die (geregelte) Ehe war lange ideologisch privat und damit per se selbstbestimmt, die (ungeregelte) Gewalt ideologisch Gegenstand staatlichen Interesses und damit per se sanktioniert – aber im Geschlechterverhältnis ist dann doch alles anders, nämlich hierarchisch konstruiert.
Inter- und transdisziplinäres Arbeiten stößt immer auch auf Schwierigkeiten und Grenzen, die persönlich oder institutionell bedingt sein können. Hier wirken Traditionen und Vorverständnisse. Es bedarf also spezifischer Fähigkeiten, um die eigene Disziplin kennen und doch überschreiten zu können, nämlich „transdisziplinärer Kompetenz“. Das ist wichtiger Bestandteil des Studiums der Gender Studies an der HU.
In den USA sind online-Tutorials entwickelt worden, die sich mit Gender in der Wissenschaft befassen. Sie finden das Material hier.
Materialien des Lehrstuhls:
- Baer, Susanne: Country Report Germany, in: Europäische Kommission (Hg.); Mapping the Maze: Getting more Women to the Top in Research, Bericht der Expertengruppe Women in Research Decision Making, S. 49-51 (pdf download).
- Baer, S.: Chancengleichheit und Gender-Forschung: Die deutsche Wissenschaft braucht eine Qualitätsoffensive. Impulsreferat zur Konferenz im Rahmen der Deutschen EU-Ratspräsidentschaft am 18./19.4.2007 in Berlin"Gender in der Forschung -- Innovation durch Chancengleichheit". (pdf download)
- Baer, Susanne: Geschlechterstudien/Gender Studies: Transdisziplinäre Kompetenz als Schlüsselqualifikation in Wissensgesellschaften. In: Kahlert, Heike/Thiessen, Barbara/Weller, Ines (Hrsg.): Quer denken – Strukturen verändern. Gender Studies zwischen Disziplinen. Wiesbaden: Verlag für Sozialwissenschaften, 2005 (im Erscheinen).
- Baer, Susanne: Interdisziplinierung oder Interdisziplinarität – eine freundliche Provokation. ZiF-Bulletin 19 (1999): 77-82.
- Hrzán, Daniela: Gender Goes Multimedia: Chancen multimedialer Lehre für die Umsetzung von Transdisziplinarität in den Gender Studies. In: Zentrum für transdisziplinäre Geschlechterstudien an der Humboldt-Universität zu Berlin (Hrsg.): Geschlechterstudien im deutschsprachigen Raum. Studiengänge, Erfahrungen, Herausforderungen. Dokumentation der gleichnamigen Tagung vom 4.-5. Juli 2003. Berlin 2004, 114-118.
Weiterführende Materialien:
- Allen, Judith A./Kitch, Sally L.: Disciplined by Disciplines? The Need for an Interdisciplinary Research Mission for Women's Studies. In: Feminist Studies 24, no. 2 (1998): 275-299.
- Esders, Karin/Genschel, Corinna: Erfahrungsaustausch über fächerübergreifende Lehre in der Frauen- und Geschlechterforschung, am 3. Dezember 2004 im Kommunikationszentrum Flussbad, Berlin-Köpenick. ZtG-Bulletin 30 (April 2005): 46-48.
- Faulstich-Wieland, Hannelore: Frauen- und Geschlechterforschung zwischen Disziplinarität und Interdisziplinarität. In: Einführung in Genderstudien. Opladen 2003, 63-67.
- Feichtinger, Johannes/Mitterbauer, Helga/Scherke, Katharina: Interdisziplinarität – Transdisziplinarität. Zu Theorie und Praxis in den Geistes- und Sozialwissenschaften. newsletter Moderne 7, Heft 2 (2004): 11-16.
- Hark, Sabine: Normale Wissenschaft? Frauen- und Geschlechterforschung im Kanon des wissenschaftlichen Wissens. In: Potsdamer Studien zur Frauen- und Geschlechterforschung 1 (1999): 5-16.
- Hayn, Doris/Hummel, Diana: Transdisziplinäre Forschung im Feld Gender & Environment. Beitrag anlässlich des 28. Kongresses von Frauen in Naturwissenschaft und Technik vom 09. bis 12. Mai 2002 in Kassel.
- Heintz, Bettina/Merz, Martina/Schumacher, Christina: Wissenschaft, die Grenzen schafft. Geschlechterkonstellationen im disziplinären Vergleich. Bielefeld 2004.
- Jahn, Thomas: Transdisziplinäre Nachhaltigkeitsforschung – Konturen eines neuen, disziplinenübergreifenden Forschungstyp. Beitrag zu der Veranstaltungsreihe „Wissenschaftsstadt Frankfurt“ vom 3. März 2001.
- Kahlert, Heike: Transdisziplinarität als Programm: Frauen- und Geschlechterforschung zwischen der Sehnsucht nach Einheit und nomadischer Existenz. In: Zeitschrift für Frauenforschung & Geschlechterstudien 19, Nr. 3 (2001): 3-18.
- Mittelstraß, Jürgen: Transdisziplinarität – wissenschaftliche Zukunft und institutionelle Wirklichkeit. Konstanz 2003.
- Mittelstraß, Jürgen: Methodische Transdisziplinarität. Technikfolgenabschätzung Theorie und Praxis Nr. 2, 14. Jg. (Juni 2005): 18-23.
- Stehr, Nico: Warum es SO schwierig ist, interdisziplinär zu sein. Von der Zukunft der Wissenschaftskulturen und den Bedingungen der Transdisziplinarität in den Wissenschaften. FORUM Forschung 2000: 1-3.
- Zentrum für transdisziplinäre Geschlechterstudien an der Humboldt-Universität zu Berlin (Hrsg): Geschlechterstudien im deutschsprachigen Raum. Berlin 2004.
Internet-Ressourcen:
- Bibliographie Inter- und Transdisziplinarität (mit Suchfunktion); Forschungsgruppe „Inter- und Transdisziplinarität“, Interfakultäre Koordinationsstelle für Allgemeine Ökologie (IKAÖ), Universität Bern.
- Literaturliste „Interdisziplinäre Forschung“, Studiengang Social Ecology, Fakultät für Interdisziplinäre Forschung und Weiterbildung Klagenfurt-Graz-Wien.
- Projektgruppe „Transdisziplinäre Wissenschaften“ im Rahmen des Promovierenden-Netzwerks THESIS.
- Projekt „Interdisciplines“; gesponsert von CNRS (Centre National de la Recherche Scientifique), Paris, Frankreich.
- Toolkit and Training "Gender in EU-funded Research", entstanden in einem Projekt von Yellow Window Management Consultants, Engender und Genderatwork, gefördert von der Europäischen Kommission, Luxemburg 2009.