Humboldt-Universität zu Berlin - Forschungsinstitut für Völker- und Europarecht

Wettbewerb 2002 in Augsburg

»All rise. The International Court of Justice is now in session. The issue before it is the ›Case Concerning Regulations of Access to the Internet‹, Republic of Turingia v. the Republic of Babbage.« Mit diesen Worten eröffnete der Bailiff (Gerichtsdiener) in Augsburg die Verhandlung in der nationalen Vorausscheidung des diesjährigen Philip C. Jessup International Law Moot Court. Monatelang hatte das Team der Humboldt-Universität diesem Moment entgegengefiebert, nun ging es endlich los.

Vor dem Internationalen Gerichtshof (IGH) stritten diesmal das große Industrieland Turingia (200 Mio. Einwohner) und der sich nach etlichen Bürgerkriegen eifrig entwickelnde Staat Babbage (ca. 10 Mio. Einwohner). Auslöser waren babbagianische Strafgesetze, die den Zugang zum Internet zum Schutze der öffentlichen Ordnung stark beschränkten. Dem widersetzten sich TOL, ein turingischer Internet Service Provider, und BOL, seine babbagianische Tochterfirma. In der Folge wurde TOL Opfer einer Hacker-Attacke der anonym operierenden International Babbagian Cyper Patrol (IBCP) und erlitt einen Schaden i.H.v. US-$ 50 Mio. IPCP dagegen wurde vom Präsidenten der Republik Babbage öffentlich für seine Taten geehrt und von jeder Strafverfolgung ausgenommen. Im Gegenzug unternahm ein turingischer Hacker einen Angriff auf den zentralen Rechner der babbagianischen Eisenbahn und verursachte so den Zusammenstoß zweier Züge und mehr als 200 Tote. Nunmehr weigerte sich Turingia, den bekannten Computeraktivisten anzuklagen und zu verurteilen. Daraufhin lockte in Babbage unter einem falschen Vorwand ins Land und verurteilte ihn wegen 200fachen Mordes zu 20 Jahren Haft. Entrüstet verlangt Turingia nunmehr von Babbage die sofortige Freilassung des Hackers sowie den Ersatz des TOL entstandenen Schadens und Rücknahme der restriktiven Internetgesetze. Babbage – ebenso entrüstet – begehrt Schadensersatz für das Zugunglück sowie die Feststellung, sich im übrigen völkerrechtskonform verhalten zu haben.

Die vier Mitglieder des Teams, die ERASMUS-Studenten Capucine Nele Rosenfeld und Petteri Plosila und die deutschen Studentinnen Hanna Schumacher und Antonia Kästle, stürzten sich in der Folge in die Tiefen (und Untiefen) des Völkerrechts. Gibt es im Völkergewohnheitsrecht ein (unbeschränktes?) Recht auf freie Meinungsäußerung? Können Turingia oder Babbage für die wechselseitigen Hackerangriffe haftbar gemacht werden? Gilt der Grundsatz »male captus bene detentus« auch im Völkergewohnheitsrecht? Mit diesen und anderen Fragen galt es, sich intensiv auseinander zu setzen und sie anschließend auf Englisch kurz und knapp (max. 25 Seiten) abzuhandeln.

Kaum waren die Schriftsätze (»Memorials«) Anfang Januar auf den Postweg gebracht, begann die Vorbereitung der mündlichen Vorträge (»Oral Pleadings«): »May it please the Court. My name is Hanna Schumacher and I will appear with my learned friend, Miss Capucine Rosenfeld as Counsels on behalf of the Republic of Turingia.« So ging es vier Wochen lang an drei Abenden die Woche. Nicht nur sichere Rechtskenntnis (»Of what relevance are the findings of the ILC to this Court, counsel?«), auch souveränes Auftreten (»Locker, nicht so angestrengt wirken!«) und Schlagfertigkeit waren gefragt (»Counsels, the Court already knows that Babbagians travel second class on the train of human rights. Do you think this is legitimate for a developing country?«).

In Augsburg begann die deutsche Vorausscheidung am Donnerstagabend mit einem Empfang beim Oberbürgermeister der Stadt Augsburg im goldenen Saal des Rathauses. Alle Teams, aus Augsburg, Tübingen, Frankfurt/Main und Frankfurt (Oder), aus Kiel, Göttingen, Heidelberg und Jena sowie zweimal aus der Hauptstadt (FU und HU) waren vollzählig versammelt. Dort wurden uns auch unsere Kontrahenten in der Vorrunde, die Teams der Universitäten Nürnberg/Erlangen und Frankfurt (Oder) zugelost. Freitagmorgen um 10.00 Uhr begann der eingangs erwähnte Ernstfall. Als wir Abends erfuhren, dass wir von elf teilnehmenden Teams immerhin Platz 5 erreicht hatten, aber nicht das Halbfinale (dafür wäre mindestens Platz 4 erforderlich gewesen), machte sich doch eine gewisse Enttäuschung breit. Doch der wirkten die Organisatoren mit einem gut bestückten Buffet entgegen, und so nahm man die Gelegenheit war, die anderen Teams besser kennenzulernen.

Das Finale am Samstagnachmittag im wunderschönen Rokokosaal der Regierung von Schwaben wurde von den Mannschaften aus Jena und Nürnberg/Erlangen bestritten. Jena behielt die Oberhand und erlangte so das begehrte Ticket nach Washington, wo sie Deutschland in der internationalen Endrunde im März 2002 vertreten werden. Doch auch die Humboldt-Universität ging nicht leer aus, wurde sie doch mit dem Preis für die besten Schriftsätze ausgezeichnet. So ging der diesjährige Jessup auch für uns in ausgelassener Stimmung mit einem großen Festessen im Rokokosaal zu Ende. Völlig erschöpft und mit vielen schönen Eindrücken im Kopf ging es Sonntagmorgen mit dem Zug zurück nach Berlin. Da war es nur gut, dass das Semester fast vorüber war, der Uni-Alltag kam uns nun doch sehr trist vor.

Hans Fabian Kiderlen