Humboldt-Universität zu Berlin - Forschungsinstitut für Völker- und Europarecht

Wettbewerb in Tübingen 2006

»All rise, the Court.«

Mit diesen Worten begann der wohl spannendste Abschnitt des diesjährigen Philip C. Jessup Moot Courts, die nationale Runde. Da standen wir nun also, in Kostüm und Anzug mit Krawatte im Gerichtssaal. Erwartungsvoll und mit zittrigen Händen warteten wir gespannt das Eintreten der Richter, angekündigt mit eben diesen Wort, ab. Wir, das ist das Team des Philip C. Jessup Moot Courts der Humboldt Universität zu Berlin 2005/2006: Jacob Bonnevie, Sigrid Brettel, Désirée Flamme, Michael Kuhn, Andreas Kulick und Katja Porzucek.

Der »Jessup« ist der größte und älteste internationale Moot Court auf dem Gebiet des Völkerrechts. Er wurde 1959 von Studenten der Harvard und der Columbia University sowie der University of Virginia gegründet und wird seither jährlich von der International Law Students Association (ILSA) organisiert. Unter den vielen verschiedenen Wettbewerben, die sich mittlerweile etabliert haben, ist der Philip C. Jessup Moot Court – benannt nach einem amerikanischen Völkerrechtsgelehrten und Richter am Internationalen Gerichtshof- noch immer mit Abstand der bekannteste. Weltweit nehmen jährlich etwa 1.500 Studenten aus über 300 Universitäten und mehr als 50 Ländern teil.

Der Sache nach geht es um eine simulierte Gerichtsverhandlung in englischer Sprache vor dem Internationalen Gerichtshof (IGH) in Den Haag. Alle Hochschulteams, bestehend aus zwei bis fünf Teilnehmern, bearbeiten denselben völkerrechtlichen Fall, der eine Vielzahl aktueller völkerrechtlicher Fragestellungen aufwirft. Die Problematik reichte dabei in den letzten Jahren vom internationalen Umweltrecht, Wirtschaftsrecht (GATT/WTO), der Bekämpfung des internationalen Terrorismus oder internationaler Straftribunale bis hin zum Recht der Staatenverantwortlichkeit.

Die einzelnen Hochschulteams selbst repräsentieren sowohl Kläger- wie Beklagtenseite und müssen sich mit Schriftsätzen, sogenannten memorials und mündlichen Plädoyers, sogenannten pleadings in einem nationalen Vorausscheid für die Internationale Runde in Washington, D.C. qualifizieren. Dort treffen sich anschließend die jeweils besten Teams aus mehr als fünfzig Staaten, welche sich in ihren Ländern zuvor qualifizieren konnten, um in einer weiteren Runde mündlicher Verhandlungen den Besten auszuspielen.

Der zeitliche Aufwand für das Erstellen dieser memorials ist relativ hoch und sicher vergleichbar mit einer anspruchsvollen Seminararbeit. Am besten beginnt man noch Ende Oktober mit der Ausarbeitung, unmittelbar nachdem der Fall für alle Teams veröffentlicht wurde, da die Abgabe der Schriftsätze für den Wettbewerb zumeist auf Ende Dezember oder Anfang Januar festgesetzt ist.

Nach Abgabe der Schriftsätze beginnt im neuen Jahr die Phase der Vorbereitung auf die mündlichen Plädoyers. Pro Team dürfen nur zwei Team-Mitglieder plädieren. Dabei müssen sich die Teilnehmer darauf vorbereiten, alles für ihre Argumentation Wesentliche in kurzer Zeit vorzutragen und darüber hinaus noch auf bohrende Fragen der Richter höflich, bestimmt und umfassend zu antworten – alles, wie gesagt, auf Englisch. Hier kommt es auf ein sicheres Auftreten und eine überzeugende Präsentation des Wissens an. Die Ausscheidung ist für alle Beteiligten krönender Abschluss des Semesters. Sie dauert drei bis vier Tage, in denen man außer zum Plädieren auch zum Feiern und sonstigen Kennen lernen kommt.

Ausgangspunkt des diesjährigen Falls war der Staat Nessus, welcher nach anhaltenden Differenzen zwischen politischen Fraktionen des Nordens und Südens in die Staaten Acastus und Rubria zerfielen. Der Schwerpunkt des Falls lag dabei auf der Frage, ob eine Staatennachfolge in die Mitgliedschaft der Vereinten Nationen möglich ist. Dabei ging es vor allem um die zwischen den Staaten streitige Frage der Zuständigkeit des IGH, da Acastus für sich die Möglickeit eine Staatennachfolge in die Mitgliedschaft der Vereinten Nationen beanspruchte, ohne auch nur einen Antrag gestellt zu haben. Weitere Schwerpunkte des Falls lagen bei der Frage, welche Rechte das indigene Volk der Elysianer hat. Schließlich verlief die Grenze zwischen Acastus und Rubria direkt durch das Elysium. In diesem Zusammenhang galt es auch zu erörtern, inwieweit das Verhalten eines Sicherheitsunternehmens, das die Elysianer zur Arbeit auf Ölfeldern gezwungen hat, Rubria zuzurechnen ist. Dabei ging es vorrangig um die Frage der Abgrenzung zwischen sog. acta iure gestionis und acta iure imperii.

Nachdem sich das Team die Schwerpunkte der Arbeit herauskristallisiert hatte, galt es zunächst, die memorials zu schreiben. Diese sind die Grundlage für die anschließend zu erstellenden pleadings, die es dann in der nationalen Runde zu präsentieren galt.

Traditionell wird die nationale Runde von dem Vorjahressieger eben dieser ausgerichtet. Diese Jahr fiel die Aufgabe an die Eberhard Karls Universität in Tübingen, wo vom 22.2. bis 26.2.2006 der nationale Vorausscheid stattfand. Und so reisten wir am Mittwoch, dem 22.2. morgens in froher Erwartung der Dinge, die da kommen mögen, nach Tübingen-Reutlingen. Leider erwartete uns bei der Ankunft eine weniger erfreuliche Nachricht. Wegen eines Verstoßes gegen Formvorschriften sind wir gleich zu Beginn der Nationalen Runde mit 35 Strafpunkten für unsere memorials in den Wettkampf gestartet. Doch davon ließen wir uns nicht entmutigen. »Jetzt erst recht!« war die Devise. Zusammen mit den anderen 12 Teams, die ebenso im Hotel untergebracht waren, ging es noch am selben Tag abends zur Universität. Dort wurde mit einer Eröffnungsfeier die Nationale Runde eröffnet und die Paarungen für die Vorrunden am Donnerstag, dem 23.2. und Freitag dem 24.2. bekannt gegeben. Uns hatte das Los nicht ganz so hart getroffen. So trafen wir am Donnerstag in der Rolle des Klägers auf Göttingen und in der Rolle des Verteidigers auf Jena. Am Freitag schließlich sollten wir auf Frankfurt (Oder) mit uns in der Rolle des Klägers sowie auf Nürnberg-Erlangen mit uns in der Rolle des Verteidiger treffen. Noch am Mittwochabend haben alle Teams die memorials ihrer Gegner erhalten, um deren Strategien und Argumentationsstrukturen zu studieren. Es wurde eine lange Nacht, in der es galt, die eigenen pleadings auf die gegnerische Seite abzustimmen.

Am Donnerstag morgen hieß es dann für Katja und Jacob gegen Göttingen vorzulegen. Und so machten sich die zwei zusammen mit Sigrid, unserem Student Coach, am Morgen des Donnerstag leicht nervös auf zum Gerichtssaal. In dem Moment, als die Richter den Raum betraten, verflogen die Anspannung und der Stress der letzten Wochen und Monate. Gespannt erwarteten alle die Eröffnung der Verhandlung. Schon x-mal hat das Team diese Situation in Berlin durchgespielt und geprobt. Alles läuft wie am Schnürchen und auch böse Überraschungen gibt es keine. Wie im Flug verrinnt die vorgegebene Zeit von 30 Minuten für unser pleading. Nachdem der letzte Satz gesprochen ist, wir uns wieder an unsere Klägerbank gesetzt haben, blicken wir gespannt zu unseren Gegnern. Bringen sie Punkte in ihrem pleading, die wir nicht bedacht haben? Gibt es jetzt unerwartete Wendungen, auf die wir nicht ausreichend vorbereitet sind? Nein! Alles läuft in dieser ersten Runde wie geplant. Désirée und Andreas zogen am Nachmittag gegen Jena nach. Auch hier läuft alles glatt. Unmittelbar nach Ende der Verhandlungen am Donnerstag machte sich jedes Team auf ein Neues an die Schriftsätze der zweiten Gegner für Freitag. Auch an diesem Tag läuft alles glatt und so macht sich die lange Vorbereitung bezahlt. Dank der vielen gemeinsam verbrachten Stunden in der Zeit der schriftlichen Ausarbeitung und auch mündlichen Vorbereitung sind wir ein eingespieltes Team.

Am Freitagabend nach der letzten Vorrunde gibt es erste Ergebnisse. Bei einem gemeinsamen Essen im Hotel kommt schnell Stimmung auf. Nach dem Dessert werden schließlich die Teilnehmer des Halbfinals, das am Samstagmorgen ausgetragen werden soll, bekannt gegeben. Leider haben wir den Einzug in das Halbfinale verpasst. Dafür qualifizierten sich Jena und auch Frankfurt, gegen die wir eben noch in der Vorrunde standen, sowie Tübingen und Heidelberg. Die vier Teams sind damit ihrer Favoritenrolle gerecht geworden. Und auch wenn wir uns mehr erhofft hatten, ist das dennoch für uns kein Grund, niedergeschlagen zu sein. Ganz im Gegenteil. Auch wenn es für den Einzug ins Halbfinale und damit für eine mögliche Qualifizierung für die Internationalen Runden in Washington nicht gereicht hat, sind wir dennoch froh um die einmale Erfahrung des Moot Courts und den Einsatz für das Team und die Universität.

Am Samstag nutzen viele, die in der Vorrunde gescheitert sind, die Möglichkeit, Tübingen zu erkunden. Nach einem schönen Spaziergang durch die engen Gassen Tübingens ging es zurück zur Uni, wo im historischen Saal der Bibliothek das Final ausgetragen wurde. Für dieses hatten sich am Vormittag Heidelberg und Jena qualifiziert, die sich als ebenbürtige Gegner ein Finale erster Klasse geliefert haben. Mit Esprit, Denkvermögen und einer ganzen Menge Schlagfertigkeit haben beide Teams Teilnehmer und Richter zugleich begeistert und aufgezeigt, wo es hingehen kann. Heidelberg hat sich letzten Endes mit sechs zu drei Stimmen durchgesetzt und reist nun als Sieger der nationalen Runde nach Washington, D.C.

Bei einem abschließenden gemeinsamen Essen im Restaurant »Museum« wurden schließlich die Endergebnisse bekannt gegeben. Wir haben den achten von dreizehn Plätzen belegt und dabei neben der Freien Universität Berlin auch unsere Gegner Göttingen und Nürnberg-Erlangen auf die Plätze verwiesen. Wenngleich im Nachhinein ein bisschen Wehmut über kleinere Patzer und Fehler, die ausnahmslos jedem Team unterlaufen sind, aufkam, können wir dennoch sagen, alles und vor allem unser Bestes gegeben zu haben. Noch bis spät in die Nacht feierten alle Teams zusammen ihre ganz persönlichen Erfolge und tauschten sich bei einem Glas Wein über die Eindrücke des diesjährigen Moot Court aus. Es war der krönende Abschluss einer rundum gelungene Veranstaltung.

Die Vorzüge des »Jessup« liegen schließlich klar auf der Hand: Die Teilnahme an einem Moot Court bietet für jeden Jurastudenten während des Studiums die wohl einzige Möglichkeit, in einem sonst recht theorielastigen Studium juristisches Wissen anzuwenden. Anders als bei Hausarbeiten bietet der Moot Court die Möglichkeit, Probleme weniger nüchtern und abwägend darzustellen, sondern einmal einseitig für eine Partei einzutreten. Die Vorbereitungsphase, in welcher man Argumente sammelt und logisch aufbaut, Gegenargumente zu entkräften versucht, sich darauf vorbereitet, höflich, aber bestimmt auf Fragen der Richter zu reagieren und Plädoyers entwickelt, ist so gesehen ein (kostenfreier) Intensivkurs in Rhetorik und Argumentationstechnik.

Da der »Jessup« gänzlich in englischer Sprache stattfindet, belegt man auch sozusagen einen fünfmonatigen Sprachkurs, der gerade im Hinblick auf Rechtsterminologie sehr gute Kenntnisse vermittelt.

Schriftsätze und Plädoyers werden von allen Teilnehmern eines Teams gemeinsam vorbereitet. Auch wenn oftmals verschiedene Teilnehmer unterschiedliche Sachgebiete des Falls bearbeiten, so zählt am Ende einzig und allein die Gesamtleistung. TEAMARBEIT wird also groß geschrieben. In dieser Hinsicht ist die Teilnahme nicht nur eine Bereicherung des Studiums, sondern auch eine Abwechslung im Vergleich zu dem Einzelkämpfer-Dasein, das man als Jura-Student sonst führt.

Katja Porzucek