Prof. Dr. Hans Meyer†
Universität und Fakultät trauern um Prof. Dr. Dr. h.c. Hans Meyer, Präsident der Humboldt-Universität von 1996 bis 2000 und als Vorsitzender ihrer Struktur- und Berufungskommission nach der Wende „Vater“ ihrer heutigen Juristischen Fakultät.
Hans Meyer wurde 1933 in Aachen geboren. Nach dem juristischen Studium in Freiburg, München und Bonn legte er sein Referendarexamen 1957 in Köln ab. Als Assistent von Ernst Friesenhahn, dessen Seminar sein Wissenschaftsverständnis maßgeblich prägte, ging er an die Bonner Fakultät. Dort wurde er im Jahr 1967 mit einer Arbeit zur Finanzverfassung der Gemeinden promoviert, um sich am selben Ort bereits 1970 mit der Schrift „Wahlsystem und Verfassungsordnung“ zu habilitieren. 1974 folgte Meyer einem Ruf auf den Lehrstuhl für Staats-, Verwaltungs- und Finanzrecht an der Johann Wolfgang Goethe-Universität in Frankfurt am Main, der er auch nach seinem Wechsel nach Berlin als Honorarprofessor verbunden blieb.
Nach dem Fall der Mauer kam Meyer zunächst als Gastredner an die alte Berliner Universität. Er hinterließ Eindruck und wurde zum Vorsitzenden der Struktur- und Berufungskommission der Juristischen Fakultät ernannt. In dieser Funktion leitete er den schwierigen Transformationsprozess an und baute die Fakultät neu auf. Deren große Dankbarkeit für seine Arbeit kam bereits 1993 in der Verleihung der Ehrendoktorwürde zum Ausdruck. 1996 wurde er als ordentlicher Professor an die Fakultät berufen und zum Präsidenten der Humboldt-Universität gewählt. Auf die Entwicklung der Universität hatte seine Amtszeit in dieser formativen Phase einen großen Einfluss. Sein erfolgreicher Kampf um eine Experimentierklausel zur Öffnung des Berliner Hochschulrechts ermöglichte es, gerade im Dienstrecht den Anforderungen des Übergangs besser gerecht zu werden.
Meyer war ebenso hoch geschätzter Wissenschaftler wie einflussreicher und gesuchter Ratgeber und Prozessvertreter. Seine Habilitationsschrift zum Wahlrecht wurde schnell zur maßgeblichen Schrift in diesem juristisch und politisch zentralen Gebiet, zu einem Klassiker. Sein Staatsrechtslehrerreferat über „Das parlamentarische Regierungssystem des Grundgesetzes“ integrierte politische, institutionelle und verfassungsrechtliche Perspektiven in für sein Denken typischer Weise. Setzte sich die These der Habilitation von der verfassungsrechtlichen Unzulässigkeit des Mehrheitswahlrechts auch nicht durch, so konnte er doch mit seiner Deutung des Bundestagswahlrechts bedeutende praktische Erfolge als Prozessvertreter erzielen: bei der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur Unzulässigkeit des negativen Stimmgewichts ebenso wie bei der Entscheidung zur Beschränkung von Überhang- und Ausgleichsmandaten, die er im Alter von 79 Jahren in Karlsruhe erfocht. Seine Kenntnisse auf diesem komplexen und unhandlichen Rechtsgebiet waren schwerlich zu übertreffen, im Gespräch fand er immer wieder einen Aspekt, von dem alle anderen noch nichts gehört hatten.
Meyer bespielte darüber hinaus ein weites Feld wissenschaftlicher Fragestellungen. Neben dem Wahlrecht interessierten ihn viele andere Fragen des Staatsorganisationsrechts, namentlich das Finanzverfassungsrecht und das Parlamentsrecht, auf dem Gebiet des Verwaltungsrechts das Kommunalrecht und das Baurecht. Sein besonderes Interesse galt hier dem Allgemeinen Verwaltungsrecht. Sein Kommentar zum Verwaltungsverfahrensgesetz setzte Maßstäbe und auch auf diesem Gebiet war er praktisch wirkmächtig: Auf einen Brief Meyers an den Vorsitzenden des Vermittlungsausschusses geht der bis heute geltende Bund-Länder-Kompromiss zum Anwendungsbereich in § 1 Abs. 3 VwVfG zurück.
Meyer war ein gesuchter Ratgeber. Bereits als Assistent fungierte er auch als Generalsekretär des Deutschen Juristentags. Von 1970 bis 1976 gehörte er dem Wissenschaftsrat an, ab 1973 als stellvertretender Vorsitzender der Wissenschaftlichen Kommission. Für die Berliner Wissenschaftsverwaltung prüfte er 1978 bis 1979 die Chance einer Zusammenfassung und Sanierung der Westberliner Fachhochschulen. 1999 bis 2000 leitete er eine Kommission des Bundes zur Reform des Hochschuldienstrechts. Seine Beteiligung an den vielfachen Versuchen zur Weiterentwicklung des grundgesetzlichen Föderalismus hat er wie auch die Debatten um das Wahlrecht in Büchern kritisch dokumentiert. Dieses Format der Darstellung rechtspolitischer und verfassungsrechtlicher Debatten sind ein ihm ganz eigenes Genre. Ihre Lektüre gibt Aufschlüsse über die innere Logik unseres politischen Systems, die man an anderer Stelle nicht finden wird. Für seine Verdienste wurde ihm das Bundesverdienstkreuz erster Klasse verliehen.
Meyer legte Wert auf den Eigenstand des juristisch-dogmatischen Arguments, das er mit größter Feinheit beherrschte. Herrschende Meinungen beeindruckten ihn nicht, er wollte Gründe hören und konnte seine eigenen Gründe temperamentvoll und brillant vortragen. Zugleich wusste er viele andere Register zu bespielen. Meyer war ein politischer Mensch, der sich für historische Kontexte des Staatsrechts nicht nur interessierte, sondern deren Kenntnis für eine notwendige Bedingung ihrer wissenschaftlichen Untersuchung hielt. Für alle erlebbar wurde dies in seiner viel bewunderten Rede zum 200. Geburtstag der Juristischen Fakultät der Humboldt-Universität.
Mit Hans Meyer zu diskutieren war eine Freude. Er war eine urbane Erscheinung voller Spaß an schneller und schlagfertiger Konversation, die politisch oder fachlich sein durfte, aber nicht sein musste, hinter dessen Brillanz sich aber ein hoher politischer Ernst und eine kritische Loyalität zur parlamentarischen Demokratie zeigten. Es machte ihm Freude, Wissenschaft, Politik und Recht miteinander ins Gespräch zu bringen. Wer das Glück hatte, ihm persönlich zu begegnen, wird ihn vermissen.